Hilfe, mein Kind ist plötzlich vegan!
- Jana Barth
- 24. Juni 2024
- 5 Min. Lesezeit
Das Kind kommt von der Freundin nach Hause und will auf einmal den Rollbraten nicht mehr essen. Liebeskummer? Ist eine Grippe im Anmarsch? Prüfungsangst?
Und dann erfährt man auf Nachfrage: es ist noch schlimmer! Das Kind will fortan vegan leben.
Und nun?
Möglichkeiten entdecken
Veränderungen machen Angst und der Verzicht auf tierische Produkte ist eine große Veränderung, auch wenn es erstmal nur ein Familienmitglied betrifft. Innerhalb der Familie kommt es mitunter zur Anspannung, zu Unsicherheiten und Eltern wissen oft nicht, wie sie mit ihren Kindern umgehen können, um ihre Gesundheit sicherzustellen, sie allerdings auch nicht unter Druck zu setzen. Das klingt nach einem beinahe unbewältigbaren Hindernis, nicht wahr?
Probleme sind Chancen und in jeder Chance verbergen sich Probleme. - Georg-Wilhelm Exler

Kritische Nährstoffe
In der veganen Ernährung gibt es mehrere Nährstoffe, die als potentiell kritisch angesehen werden, d.h. die eventuell nicht ausreichend über die Nahrung aufgenommen werden können. Eine Mangelernährung (auch latent) kann Entwicklungsschäden nach sich ziehen und Spätfolgen provozieren. Deswegen ist es sinnvoll, auf die wichtigsten Nährstoffe zu achten.
Calcium ist in pflanzlichen Produkten eher in geringen Mengen enthalten. Es gibt inzwischen viele Produkte, die mit Calcium angereichert sind, z.B. Alpro (alle Produkte). Meine Empfehlung ist auf ein kalziumhaltiges Mineralwasser zurückzugreifen – bitte aus der Glasflasche. Bad Homburg verfügt außerdem über Heilwasser mit hohem Calciumgehalt, das im Kurpark frei für alle zugänglich ist.
Vitamin B12 kann nicht ausreichend aus pflanzlichen Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Es ist daher notwendig, es zu supplementieren. Einzelpräparate reichen i.d.R. aus. Alternativ kann eine Zahncreme mit B12 verwendet werden, da B12 auch über die Schleimhäute aufgenommen wird. Übrigens braucht man sich in der Anfangszeit keine Sorgen über einen Mangel machen, der menschliche Körper verfügt über einen Vitamin-B12-Speicher mit Vorrat von bis zu 3 Jahren.
Eisen wird ebenfalls schlechter aus pflanzlichen Lebensmitteln aufgenommen. Wichtig ist, dass gleichzeitig keine Eisenaufnahme hemmenden Lebensmittel (z.B. Kaffee oder zinkhaltige Lebensmittel wie Vollkornbrötchen) aufgenommen werden sollten. Eine Karenz von 3 Stunden ist ausreichend. Die empfohlene Tagesdosis von 15mg sollte nicht unterschritten werden.
Protein gilt als kritischer Makronährstoff der veganen Ernährung. Achtet man auf die biologische Wertigkeit (Ei = 100), kann man etwas über die Qualität des Nahrungseiweises herausfinden und Lebensmittel gezielt kombinieren. Somit kann auch in einer rein pflanzlichen Ernährung eine ausreichende Versorgung mit allen nötigen Aminosäuren und komplexen Proteinen sichergestellt werden.
Z.B. Bohnen und Vollkornreis, Linsen und Vollkornbrötchen, Hummus mit Pita, …
Tipp: Nüsse sind eine gute Proteinquelle und liefern wichtige Fettsäuren. Immer wieder Nüsse anbieten!

Und wie soll das Ganze nun aussehen?
Beispieltagesspeiseplan für heranwachsendes Mädchen mit einem Bedarf um die 2000kcal/d:
Frühstück: Avocado-Toast mit Räuchertofu und Tomaten (ca. 500 kcal)
- 2 Scheiben Vollkornbrot (ca. 160g)
- 1 Avocado (ca. 150g)
- 100g Räuchertofu
- Tomatenscheiben
- jodiertes Salz, Pfeffer, Gewürze nach Geschmack
Mittagessen: Quinoa-Salat mit Gemüse und Kichererbsen (ca. 600 kcal)
- 150g gekochter Quinoa
- Gemischtes Gemüse (z.B., Paprika, Gurke, Tomaten)
- 1 Dose Kichererbsen (ca. 240g, abgetropft)
- Handvoll Spinat
- Zitronen-Vinaigrette (Zitrone, Olivenöl, Senf, jodiertes Salz, Pfeffer)
Snack: Frisches Obst und Nüsse (ca. 200 kcal)
- 1 Apfel
- 1 Handvoll Mandeln (ca. 30g)
Abendessen: Süßkartoffel-Bohnen-Bowl (ca. 600 kcal)
- 200g Süßkartoffel, gewürfelt und gebacken
- 1 Tasse schwarze Bohnen (gekocht)
- Gemüse nach Wahl (z.B. Petersilienwurzel, Brokkoli, Karotten)
- Quinoa als Beilage
- Avocado-Sauce (Avocado, Limettensaft, Knoblauch, Salz)
Snack: Sojajoghurt mit Beeren (ca. 100 kcal)
- 150g Sojajoghurt
- Handvoll Beeren (Himbeeren, Blaubeeren)
Insgesamt liegen die geschätzten Nährstoffwerte dieses Beispiel-Speiseplans in den angegebenen Bereichen:
- Kalorien: ca. 2000 kcal
- Protein: 77g (15%)
- Fett: 71g (30%)
- Kohlenhydrate: 282g (55%)
Portionsgrößen können individuelle angepasst werden. Bitte versteht dies hier nur als allgemeine Empfehlung. Bei spezifischen Beschwerden und Fragen wendet euch an den Arzt oder Ernährungsberater eures Vertrauens. Eine regelmäßige Kontrolle des Blutbildes macht Sinn.
Allgemein
Auf dem Speiseplan dürfen täglich Hülsenfrüchte wie Linsen stehen (50 – 75g), Kichererbsen sind schmackhaft, können vielsteitig zubereitet werden und liefern hochwertiges Protein, täglich ein bis zwei Hände Nüsse sind empfehlenswert. Fällt es mit dem Obst schwer, können Smoothies eine elegante Lösung sein, die Zufuhr zu erhöhen und neue Geschmacksrichtungen auszuprobieren. Obst kann sowohl frisch als auch schockgefrostet gekauft werden.
Öle: Ich empfehle die Verwendung von hochwertigen Raps-, Oliven- und Leinölen.
Zusätzlich können sporadisch kleine Kuren mit Bierhefetabletten gefahren werden (ganze Familie). 4x täglich vier Tabletten mit ausreichend Flüssigkeit für 10 bis 14 Tage.
Ich bin sicher, die Umstellung kann sehr nervenaufreibend sein und deswegen habe ich dir einfach mal ein paar Punkte aufgeschrieben, an die du vielleicht noch nicht gedacht hast und die deine Sichtweise auf deinen Spross vielleicht etwas verändern.

Vorteile veganer Kinder
Bildung eines eigenen Ethikgefühls
Hohes Maß an Disziplin (übertragbar, bitte auf Druck verzichten)
Übernahme sozialer Verantwortung
Stärkung der Selbstwirksamkeit
Möglichkeit sich in sachlicher Argumentation zu üben (wichtig für Schule und Beruf)
Stupsen zu ehrenamtlichen Betätigungen (z.B. Tierheim, Spenden sammeln, ect. – gut für den Lebenslauf)
Frühzeitige Beschäftigung mit der Ernährungsweise und der Lebensmittelauswahl (Möglichkeit zur Prävention)
Die ganze Familie darf mal einen Blick über den Tellerrand hinauswerfen
Miterleben der Selbstfindungsphase möglich, wenn man sich darauf einlässt
Entdecken neuer Restaurants
Chance, das Kind als eigenständige Person wahrzunehmen – eure Beziehung kann sich entwickeln und der Abnabelungsprozess kann harmonisch verlaufen (hierzu bei Interesse: „Nestwärme und Flügel verleihen“ Tipp: gibt es auch als Hörbuch z.B. bei Spotify oder Audible)
Früherkennung möglicher Essstörung durch aufmerksames Zuhören (Auf Verhaltensweisen und Schlagwörter achten. Habt ihr den Eindruck, euer Kind spart Kalorien? Habt ihr den Eindruck, euer Kind fokussiert sich auf eine Nährstoffgruppe, z.B. Protein? Oder vermeidet es Fette? Gab es in letzter Zeit Streit mit Bezugspersonen oder Freunden? Hat sich kürzlich jemand über das Erscheinungsbild geäußert? Achtung! Hier können auch scheinbar positive Aussagen wie „Hast du etwa abgenommen?“ oder „Oh, man sieht, dass du hart trainiert hast. Du hast gut an Muskeln zugelegt.“ ausschlaggebend sein. Es ist wichtig, das Verhalten des Kindes zu beobachten und den Verlauf für sich im Kopf festzuhalten. Sollten einem Probleme bei der Nahrungsaufnahme, starke Gewichtsschwankungen – in der Adoleszenz darf der Körper ein bisschen außer Proportion geraten, das verwächst sich. Denkt mal an ein zweijähriges Pferd 😉 –, erhöhte Müdigkeit – kann auch pubertätsbedingt sein –, erhöhte Infektanfälligkeit, Beschwerden über das eigene Erscheinungsbild, Unsicherheiten gegenüber Gleichaltrigen, Zurückgezogenheit, … auffallen, kann es ratsam sein, sich an einen entsprechenden Experten zuwenden. Ein Psychologe ist nicht immer notwendig und Plätze sind schwierig zu bekommen. Manchmal kann auch ein guter Ergotherapeut oder geschulter Heilpraktiker helfen. Wichtig! Essstörungen kennen kein Geschlecht! Bei Jungen und Männern werden sie nur schlechter oder deutlich später erkannt, ebenso wie Depressionen)
Präventive Ernährungsweise und damit deutlich niedrigeres Risiko Zivilisationskrankheiten zu entwickeln
Gemeinsame Aktivitäten trotz Pubertät planen und Spaß dabeihaben (z.B. auf ein Erdbeerfeld gehen)
Möglichkeit, sich als Familie neu zu definieren
Ich bin mir sicher, ihr findet noch tausend weitere tolle Eigenschaften an eurem Kind. Kommt ins Gespräch und findet eure gemeinsame Esskultur!
Opmerkingen